LASS MICH FLIEGEN

Ein Film von Evelyne Faye
A 2022, 80 Min.

Pressestimmen

„Ein beglückender Film.“ − Falter

„Behutsam, aber eindringlich und sehr emotional.“ − TV-Media

„LASS MICH FLIEGEN entlarvt die eigenen Vorurteile, empowert dazu, für die persönlichen Träume einzustehen und macht vor allem eines: großen Spaß!“ − an.schläge

„Evelyne Fayes Film schaut sehr genau hin und sieht Ideen und Möglichkeiten um Diversität zu leben!“ − Dot.

„Gesellschaftlich relevant, klug und „beim Menschen!“ − ORF.at 

„Einfühlsam und berührend.“ − WOMAN

„Eine Möglichkeit, in eine unbekannte Welt einzutauchen.“ − Die Presse

„Evelyne Faye zeigt den Alltag ihrer Protagonistinnen und Protagonisten, in dem alltägliche Diskriminierungserfahrungen ebenso Platz finden wie Humor.“ − Wiener Zeitung

„Wer anders ist, braucht allen Mut, seinen Willen gegen gesellschaftliche Einschränkungen durchzusetzen. Vier jungen Menschen bei dieser ihrer persönlichen „Mission Freiheit“ zuzusehen, wie sie sich Gleichstellung und Glück erkämpfen, ist bereichernd. Was wir brauchen, ist die Erkenntnis, dass Empathie allein nicht reicht.“ − 4,5 von 5 Kronen, Kronenzeitung

„Humanes Porträt marginalisierter Menschen, die sich gegen Ausgrenzung und für Inklusion stark machen.“ − Kleine Zeitung

„Sanftes Plädoyer für die Einzigartigkeit. Es bleibt ein sanfter, stimmungsvoller Blick auf den Alltag von Individuen, wobei das Leben und nicht die Diagnose im Mittelpunkt steht.“ − OÖ Volksblatt

„Selbstbestimmt trotz Beeinträchtigung! Evelyne Fayes Dokumentation „Lass mich fliegen“ porträtiert die Individualität von Menschen mit Down-Syndrom zwischen Partnerschaft, Tanzstunden und politischem Engagement.“ − Der Standard

„Am 21. März wird Thomas seine bunten Socken tragen und sich den Film „Lass mich fliegen“ ansehen, weiß Martina.“ − Die Woche

„Sehnlichster Wunsch aller ist es, als eigenständige Menschen gesehen zu werden - mit Rechten und vor allem auch mit Möglichkeiten.“ − Osttiroler Bote

„Der Optimismus, der starke Wille zu einem selbstbewussten Leben überträgt sich auf den Zuschauer – und beflügelt selbst jene, die nicht gegen Widerstände und Vorurteile ankämpfen müssen auf dem Weg zu sich selbst." − Jurybegründung FRANZ GRABNER PREIS

„Ich bin sehr nahe am Kinowasser gebaut. Aber ernsthaft zuletzt sehr berührt, war ich durch „Lass mich fliegen“ von Evelyne Faye.“ − Robert Stachel von Maschek (FM4 Podcast) 

„Ein Film, der durch ungewöhnliche Bilder Einstellungen verändert.“ − Franz-Joseph Huainigg

„Ein ganz wunderbarer Film, der zeigt, dass alle Menschen gleiche Gefühle haben, und wie wir alle einander brauchen.“ − Margit Fischer

„Alle hier bei der Premiere sind begeistert, inklusive mir, es ist ein sehr besonderer Film, ein Mutmacher gegen alle Engstirnigkeiten und Vorurteile, und wirklich sehr empfehlenswert.“ − Wolfram Berger

„Ganz wichtig, dass man sich den Film anschaut, weil er so gut zeigt, wie wichtig es ist, dass diese Kinder das gleiche Recht haben wie alle anderen, dass Menschen mit Down-Syndrom oder einer anderen Diagnose ganz gleich selbstbestimmt leben können wie alle anderen. Es ist wichtig zu sehen, dass sie einfach ein bisschen länger Zeit brauchen, aber dennoch unglaubliche Stärken und Qualitäten haben, die für uns alle wichtig sind.“ − Karin Riebenbauer, Initiative „Ich will Schule“

Synopsis

LASS MICH FLIEGEN begleitet vier junge Menschen durch den Alltag. Vier Menschen, die voller Leben sind und klare Ziele haben – Arbeit finden, politisch aktiv werden, heiraten, Kinder bekommen. Vier Menschen, für die das Erreichen dieser Ziele mit vielen Hindernissen verbunden ist und die von der Gesellschaft in eine Schublade gesteckt werden: Menschen mit Down-Syndrom.

Da ist das Pärchen Raphael und Johanna. Beide sind Teil der Tanzgruppe “ich bin o.k.”, Raphael arbeitet als Kellner. Irgendwann einmal wollen sie heiraten und Kinder bekommen. Doch der Familienplanung stehen einige Hürden von außen im Weg.
Andrea ist Opernfan und schon lange auf der Suche nach einer festen Anstellung als Altenpflegerin, über Praktika hinaus hat es bislang aber noch nicht geklappt. Ihre Erfahrungen präsentiert sie mit viel Humor bei Vorträgen in ganz Deutschland. Und Magdalena schreibt Gedichte und ist politisch aktiv. Sie steht gern im Mittelpunkt: “Meine Eltern sagen, ich wäre eine Diva, eine Rampensau.”

Regisseurin Evelyne Faye begleitet sie alle mit der Kamera durch den Alltag – beim Kochen, Einkaufen und Wohnung putzen; beim Haare Stylen, in der Arbeit, beim Ausflüge machen und Tanzen.

Statt Anerkennung ernten sie aber oft mitleidige Blicke und Betroffenheit. Ihr sehnlichster Wunsch ist es, inkludiert zu werden, als eigenständige Menschen gesehen zu werden – mit Rechten und vor allem auch mit Möglichkeiten, sich selbst zu verwirklichen. Und sie zeigen, dass sie das auch können, sind voller Energie und Einzigartigkeit.

“Ich wünsche dir, so wie jedem Menschen, als ein Universum mit unendlich vielen Möglichkeiten betrachtet zu werden”, sagt Evelyne Faye am Ende des Films zu ihrer Tochter Emma-Lou, bei der ebenfalls Trisomie 21 diagnostiziert worden ist. Wie das mit viel Selbstbewusstsein und Einsatz gehen kann, zeigen die Menschen in diesem Film.

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Credits

Regie, Buch: Evelyne Faye
Kamera: Michael Schindegger
Ton: Ines Vorreiter, Lenka Mikulová
Montage & Dramaturgie: Joana Scrinzi
Dramaturgie: Wolfgang Widerhofer
Musik: Coshiva
Sounddesign & Mischung: Sebastian Watzinger
Farben: Andi Winter

Produktionsleitung: Antonia Bernkopf, Teresa-Saija Wieser
Herstellungsleitung: Michael Kitzberger
Produzenten: Michael Kitzberger, Wolfgang Widerhofer, Markus Glaser, Nikolaus Geyrhalter

Produktion: NGF - Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion GmbH

Mit Unterstützung von: Österreichisches Filminstitut, ORF Film/Fernseh-Abkommen, FISA - Filmstandort Austria

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ProtagonistInnen

Regisseurin Evelyne zu ihrer Tochter Emma Lou: Du bist keine Diagnose. Du bist einzigartig. Und du wirst uns deinen Weg zu deinem Glück zeigen.
Du bist voller Leben, neugierig, und du stehst mitten im Leben.
Du hast deine eigene Persönlichkeit, deinen eigenen Willen, deine Leidenschaften und deine eigenen Fähigkeiten. Niemand soll dir zuschreiben, wie dein Leben auszusehen hat, nur weil du eine Diagnose bei der Geburt bekommen hast.
Die Inspiration zu diesem Film kam von Emma Lou und von dem natürlichen Wunsch einer Mutter, ihr Kind glücklich zu sehen. Als Kind und als Erwachsene.

Andrea
Meine Familie entwickelte eine schlaue Taktik, um das Hindernis der Integration zu überwinden: Anmelden, Anzahlen, Abstellen, Abhauen. Hätte man vorab das Down Syndrom erwähnt, dann hätten sich viele geweigert, sich überhaupt auf mich einzulassen.
Wer ein stabiles soziales Umfeld hat, braucht keine Lebenshilfe, braucht nicht solche Einschränkungen. Niemand steckt mich in ein Heim, da kann mich niemand zwingen!
Ich finde persönlich, dass wir junge Menschen mit unserer Behinderung, mit dem Down Syndrom, andauernd die Welt verändern könnten - wenn sie uns machen ließen.
Ich bin Betreuungsassistentin für ältere Menschen mit Demenz, aber ich will das nicht mehr nur ehrenamtlich machen. Sie mochten mich gerne, die älteren Menschen brauchen ja Ruhe, viel Zeit und eben auch Geduld.
Ich war schon in mehr als 53 Opern, ich kann auf Musik gar nicht verzichten. Es ist einfach so schön, da bekomme ich so richtig eine Gänsehaut. Da musst du schon mitweinen, die Opernwelt ist sehr kompliziert und so feurig.

Raphael
Ich bin Golfer und Tänzer! Ich habe auch Freunde, die Tänzer sind.
Ich schaue super aus.
Ich habe auch ein Leben alleine, und ich kann gut mit Geld umgehen.
Ich bin sehr glücklich. Ich habe auch meine Zukunft im Leben gefunden, ich will mit Johanna zusammen bleiben, drei Jahre sind wir schon zusammen. Ich wünsche mir mit ihr ein Kind.

Johanna
Glück bedeutet bei mir, einfach glücklich sein. Glück mit der Liebe, Glück mit Freunden.
Ich liebe Hochzeiten, du auch Schatz, oder?
Wir wollen natürlich heiraten. Unser größter Wunsch ist eigentlich noch etwas anderes: Wir wollen Kinder haben. Aber da haben wir auch noch viel Zeit. Weil wir noch tanzen.

Magdalena
Ich will, dass die Leute mich so sehen, wie sie andere Leute ansehen und nicht als „Down Syndrom Mensch“ - ich hasse diese Etikettierungen. Nur weil wir anders sind, sind wir nicht behindert. Ich denke wie eine Erwachsene, und sie sehen mich fast nur als Kind, das noch sehr viel zu lernen hat.
Ich mache mich stark gegen Ausgrenzung und Diskriminierung: Gleichstellung, Eheschließung, und auch die sexuelle Vielfalt sollte damit eingeschlossen werden, auch lesbische, schwule, polyamore Beziehungen, das wird immer tabuisiert.
Meine zwei besten Freunde bringen mir am meisten Glück und Leichtigkeit. Sie bringen mich oft zum Lachen und nehmen mich so wie ich bin, sie versuchen mich nicht zu verändern.
Die Bühne ist mein Leben, es ist mein Reich, wo ich meine Gefühle repräsentieren kann. Und ich liebe es, mich zu verwandeln.
Nur wenn man meine Gedichte hört, kann man sagen, dass man mich am besten kennenlernen kann:
Eine Rose ist im Frühling wunder wunderschön. Aber du bist im Frühling, Sommer, Herbst und Winter wunder wunderschön.
Mein Kopf dreht sich. Gedanke ist zerstreut. Im Sturm. Ich bin eine Feder. Der Wind dreht und wendet mich. Der Wind ist die Freiheit. Lass mich fliegen. Ich will nicht am Boden liegen bleiben.

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Interview mit Evelyne Faye

Sie steigen in LASS MICH FLIEGEN mit Bildern Ihrer Tochter ein, um im Laufe des Films junge Erwachsene mit Down-Syndrom zu portraitieren. Ihre mittlere Tochter Emma Lou wurde mit Down-Syndrom geboren. Waren es Gedanken, wie das Leben Ihrer Tochter aussehen könnte, wenn sie der elterlichen Sorgepflicht entwachsen ist, die Sie zu diesem Film bewegt haben?

EVELYNE FAYE: Einen wesentlichen Anstoß haben meine eigenen Fragen zu Emma Lous Leben, Zukunft und ihrer Lebensqualität geliefert. Von ihrer Geburt an war ich mit einer Dynamik konfrontiert, die ich bei meinen anderen beiden Kindern nicht erlebt habe. Seitens von Ärzt:innen oder Therapeut:innen wurde mir sehr rasch erzählt, wie sie sein wird, was sie wird machen können und vor allem was sie nicht wird machen können. Emma Lou ist nun zehn und ich habe den Eindruck, in jeder Lebensphase wird mir über sie viel erzählt, anstatt dass man zunächst einmal hinschaut, wie sie ist, welche Persönlichkeit sie hat. Als sie geboren wurde, wurde mir mitgeteilt, dass sie sich mit Down-Syndrom so und so entwickeln würde. Sie hatte noch nicht mal die Chance gehabt, sich zu zeigen, da wusste man schon über ihre Zukunft Bescheid. Ich habe schnell festgestellt, dass die Orientierungspunkte wie –wann beginnt das Kind zu zahnen, laufen, sprechen –bei Emma Lou anders waren. Ich wurde stark mit defizitorientierten Botschaften konfrontiert, sodass ich selbst für uns beide eigene Orientierungspunkte schaffen musste. Dafür suchte ich nach Inspiration, und diese Frage hat einen Anstoß für den Film geliefert. Die Protagonist:innen in LASS MICH FLIEGEN liefern durch ihre Lebensentwürfe Ideen und Möglichkeiten. Das heißt noch nicht, dass es für Emma Lou so sein wird, aber als Mutter gibt es mir Kraft und Hoffnung, dass wir uns –weder sie noch ich – davon einschränken lassen sollten, was andere über sie erzählen. Man funktioniert so schnell in Kategorien, zieht sehr schnell Schlussfolgerungen – eine Etikette genügt. Eine zweite Motivation war, diese Etikette beiseitezulassen, in die Tiefe zu gehen und Menschen mit Down-Syndrom zu zeigen. Ich wollte, dass sie mit ihrer Stimme ihr Leben erzählen, ihre Weltanschauungen vermitteln und vor allem vermeiden, dass jemand über sie redet. Daran sind sie leider gewöhnt. Sobald sie selbst zu Wort kommen, wird ihre Persönlichkeit präsent, und man kann nur staunen. Man realisiert, wie dann das Anderssein aufgrund von Down-Syndrom zur Seite rückt. Wir merken, dass uns dieselben Themen und Lebensentscheidungen beschäftigen. Das Wunderschöne an der Arbeit mit ihnen war für mich, dass sie mich inspiriert haben. Und ich glaube, sie inspirieren jeden. Sie zeigen, wie sie mit ihrer Herausforderung zurechtkommen, um Wünsche und Sehnsüchte, die wir alle kennen, voranzubringen.

In Ihrer Widmung, die Sie eingangs im Off sprechen, klingt kurz das Erlebnis der Geburt durch und die einschneidende Wirkung, die die Diagnose Down-Syndrom in Ihrem Umfeld – sowohl im Gesundheitssystem als auch im Freundeskreis – ausgelöst hat. Schwingt, quasi aus dem Off des Films, so auch Ihr Weg zum Umgang mit dieser Gegebenheit mit?

EVELYNE FAYE: Es war für mich ein Prozess. Die Arbeit am Film war eine schöne Bestätigung dessen, dass alles in Ordnung ist. Die Erfahrung der Geburt war traurig, wo doch die Ankunft eines Kindes in der Regel Anlass zur Freude gibt. Im Fall von Emma Lou hatte ich das Gefühl, dass man mir eher Beileid wünschte und etwas von Begräbnisstimmung herrschte. Und ich fragte mich, wie es wäre, wenn man das kippen könnte. Wie wäre es, wenn man zunächst einmal beglückwünscht wird für ein Kind, das zur Welt gekommen ist, weil man weiß, dass es viele Möglichkeiten geben wird. Eine Diagnose allein bestimmt nicht das Leben eines Menschen. Dieser bedauernde und trauernde Umgang mit dieser Nachricht war eine sehr einschneidende Erfahrung. Man vergisst ja beinah‘ auf das Kind, das hinter der negativen Wolke verschwunden ist, die diese Diagnose erzeugt hat. Die Diagnose Down-Syndrom hat den ganzen Raum eingenommen. Emma Lou ist nach der Geburt in ein anderes Spital zur Untersuchung transferiert worden und ist dort über Nacht geblieben, wir Eltern sind nach Hause geschickt worden und die erste Nacht im Leben meines Babys waren wir voneinander getrennt. Diese erste Nacht war nur vom diesem einen Wort – „Diagnose“ – bestimmt, man hat völlig vergessen, dass da ein neuer Mensch dahinter ist. Erst als ich das Krankenhauszimmer betreten habe – es waren sechs Babys da und Emma Lou, war ganz hinten – hat sie mich angesehen und nicht mehr aus den Augen gelassen. Das war ein so starker Moment und von da an konnte ich mir sagen: „Es passt schon. Sie wird mir den Weg zeigen und uns allen, wer sie ist, was sie braucht und wie sie sich entwickeln wird“ und nicht eine Diagnose, die uns auf einem unpersönlichen Gang mitgeteilt wurde. Es ist eine Variation des Lebens und ist Teil seiner Diversität. Es wäre schön, wenn diese Nachricht anders aufgenommen werden könnte; wenn man sich diesen Film anschauen kann und beruhigt wird, die lähmenden Ängste verliert

Sie sind Mutter von drei Kindern, Emma Lou ist in der Mitte. Hat die Erfahrung eines Kindes mit Down-Syndrom Ihre Sicht auf die Erziehung, den Zugang zu Ihren Kindern verändert?

EVELYNE FAYE: Ich habe mit Emma Lou extrem viel gelernt. Viele Dinge, die ich mit den anderen Kindern vielleicht spontan und ohne viel nachzudenken gemacht habe, musste ich anders machen und dafür auch manchen Trick lernen, wie z.B., mit Emma Lou direkt und mit einem positiven Fokus zu kommunizieren. Das kann man auch wunderbar für die anderen Kinder und auch Erwachsene anwenden. Ich habe gemerkt, dass Emma Lou bestimmte Unterstützung und andere Wege des Lernens braucht, dass sie am Ende die Dinge aber auch lernen kann. Sie zeigt mir und vielen, was für sie besser ist. Die Aufmerksamkeit, die ich Emma Lou schenke, sollte jedes Kind haben, anstatt sie in Gänge zu pressen, die vorsehen, was sie in welchem Alter können müssen. Es wäre schön, wenn man sich zuerst am Kind und seinen Stärken orientiert.

Man sieht Ihre Tochter Emma Lou in verschiedenen Altersphasen. Haben Sie sich lange mit dem Gedanken, einen Film zu machen getragen. War es Ihnen wichtig, dass die Bilder von Ihrer Tochter von Ihnen selbst gefilmt sind?

EVELYNE FAYE: Emma Lou zu filmen war eine sehr schöne Erfahrung. Diese Bilder sind eine Art Liebesbrief an sie von mir. Meinen anderen Kindern habe ich über ihre ersten Lebensjahre ein Tagebuch geschrieben. Wenn sie 18 sind, werde ich ihnen diese Tagebücher geben, zusammen mit anderen kleinen Erinnerungen aus ihren ersten Lebensjahren (Geburtsbändchen vom Krankenhaus z.B.). Mit Emma Lou war ich mir nicht sicher, ob sie so gut wird lesen können und noch dazu, ich schreibe auf Französisch also war ich mir nicht sicher, ob meine Worte sie wirklich erreichen würden. Diese Bilder und der Film sind ihr gewidmet. Der Ursprungsgedanke war also nicht direkt für den Film, sondern eher für sie. Als Erinnerung an ihre Kindheit. Und wenn daran teilhat, dass sich Menschen durch diesen Film bestärkt und inspiriert fühlen, dann ist das ein noch wertvolleres Geschenk für sie. Es war in der Tat sehr lange ein Hintergedanke. Ich hatte zunächst die Absicht, einen kulturellen Vergleich zu machen und zu schauen, wie es in anderen Ländern funktioniert, wie sieht der Blick auf Menschen aus, die anders wahrgenommen werden. Mit Corona ist dieser Ansatz aber unmöglich geworden. Im Film geht es auch vordergründig nicht um Down-Syndrom und Anderssein, es geht um Individualität, um die Schönheit, einzigartig zu sein und wie wir voneinander lernen können. Die eigentliche Botschaft, die ich mit LASS MICH FLIEGEN verbreiten möchte, ist eine universelle. Nämlich wie man Menschen mit einer Diagnose wie Emma Lou von Anfang an in eine Kategorie steckt und sagt, das wird so und so werden. Wenn ein Kind, das ständig wiederholt bekommt, dann ist das eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, egal, ob man eine Behinderung hat, oder ob man Herkunft, Geschlecht oder Religion heranzieht. Es passiert überall, dass wir in bestimmte Kästchen gesteckt werden. Dafür soll ein Bewusstsein entstehen und davon sollten wir uns distanzieren. Jeder Mensch soll von Beginn an dieselben Möglichkeiten haben dürfen, um dann im Rahmen der Fähigkeiten selbst die Entscheidungshoheit über sein Leben zu haben. Am Ende meines Films heißt es: Jeder Mensch soll sich wie ein Universum füllen. Mit unendlich vielen Möglichkeiten.

Sie sprechen eingangs im Off den Umstand an, dass das Glück Ihrer Tochter Ihnen besonders wichtig ist. Sie stellen die Frage, was Glück bedeutet, auch zu Anfang des Films an Ihre jungen Protagonist:innen. Warum ist Glück so ein wichtiger Begriff?

EVELYNE FAYE: Ich habe mich gefragt, ob der Umstand, so früh abgestempelt zu werden, ein Hindernis für ein glückliches und erfülltes Leben ist und es nicht ein Leben voller Einschränkungen und Eingrenzungen bedeutet. Gleich nach der Geburt entsteht der Eindruck, es sei eine Katastrophe eingetreten. Es fühlte sich so an, als könnten das Kind und die Familie nie wieder glücklich werden. Glück ist außerdem ein universales Thema, nach dem wir alle streben. Wir müssen alle unseren eigenen Weg finden, egal, welche Hindernisse und inneren Herausforderungen sich uns in den Weg stellen.

Beeindruckend ist bei Ihren Protagonist:innen der hohe Wert, der dabei Beziehung – Freundschaft und Liebe – beigemessen wird.

EVELYNE FAYE: Ich habe mir zu Beginn mehrere Themen überlegt: Liebe und Freundschaft war eines davon, auch deshalb ein Thema, weil man sich als Eltern fragt, ob mein Kind auch Freundschaften wird schließen können, ob es eine Liebe wird haben können: Ihrem Unterschied wird so große Bedeutung beigemessen, dass man nicht weiß, ob sich Freundschaften entwickeln können. Ich sehe, dass Emma Lou, durch den Umstand, dass sie sich in einer anderen Geschwindigkeit entwickelt, oft den Anschluss zu den anderen verliert. Bei meinen Protagonist:innen habe ich gesehen, dass sie dann Freundschaften schließen, wenn sie viel miteinander teilen. Sie haben Freunde mit Down-Syndrom, aber auch welche ohne. Als Eltern kennt man die Angst, dass sie von der Gesellschaft isoliert werden könnten. Da sie in gewisser Weise abgeschiedene Wege gehen, ergibt sich das wie von selbst. Wenn sie sich nicht in der Allgemeingesellschaft bewegen, dann hat man schon Angst davor. Ich glaube, die Bedeutung von guten Beziehungen steht auch deshalb im Vordergrund, weil sie sehr viel mit Ablehnung konfrontiert werden. Dadurch, dass wir sie zur Ergotherapie, zur Logotherapie etc. bringen, kriegen sie auch mit, dass sie Defizite in sich tragen. Ihre Leistung muss gewürdigt werden, weil sie oft viel mehr leisten als wir, indem sie das Gleiche tun wie wir. Es wird aber selten anerkannt. André Zimpel, ein Professor aus Hamburg, der sehr viel im Spektrum der Neurodiversität arbeitet, hat mich während der Dreharbeiten sehr inspiriert. Er bringt ein gutes Beispiel. Jeder kennt im Winter das Gefühl, wenn sich das Gesicht vor lauter Kälte ganz lahm anfühlt und das Sprechen schwierig wird. Man könnte sich vorstellen, dass Menschen mit Down-Syndrom dieses Gefühl ständig haben. Wenn sie gut verständlich sprechen, dann ist das eine extrem große Leistung, die selten gewürdigt wird. Die zwischenmenschlichen Beziehungen sind daher so wichtig, weil sie die Anerkennung brauchen. Lob und Stärkung erlebe ich bei Emma Lou als sehr wichtig, damit sie keine Frustration entwickelt.

Haben Sie in der Auswahl Ihrer Protagonist:innen nach jungen Erwachsenen gesucht, die ein unabhängiges und selbstbestimmtes Leben führen?

EVELYNE FAYE: Mein erstes Kriterium war, dass sie sich verständlich ausdrücken können, damit sie uns selbst ihre Welt erklären können. Dann erst hab‘ ich mir angeschaut, in welchen Lebensverhältnissen sie leben. Wer wohnt in einer WG, wer allein, wer in der Familie? Ich hatte eine kleine Auswahl, gerne hätte ich noch mehr Vielfalt gehabt. Die Frage nach Selbstständigkeit und Autonomie ist ein sehr großes Thema. Laut Professor Zimpel gibt es zwei Arten, jemandem zu mehr Selbständigkeit zu verhelfen: man hilft jemandem, etwas selbst zu tun oder man hilft, um eine Abhängigkeit aufrecht zu erhalten. Das ist gar nicht so einfach. Mir ist in den letzten Jahren aber auch bewusst geworden, wie wir alle von Hilfe abhängig sind. Unterstützung brauchen alle Menschen, Kinder mit Down-Syndrom auf eine besondere Art. Am Anfang des Projekts habe ich viele Interviews mit Referenzpersonen geführt –Lehrer:innen, Schuldirektor:innen, Betreuer:innen oder Eltern. Sie haben sehr viele wichtige Dinge zur Sprache gebracht, auch die Problematik in Österreich, was Schule und Arbeitswelt betrifft. Ich hab aber leider festgestellt, dass die jungen Erwachsenen mit Down-Syndrom sofort wie Kinder wirken, sobald sie neben einem dieser Expert:innen sitzen. Da merkt man, wie unheimlich schnell es passiert. Wenn man ständig über die betroffene Person spricht, dann lässt diese die unterlegene Position irgendwann einmal zu und wird so, wie man sie darstellt. Wenn man ihr aber den Raum gibt, um sich auszudrücken, eröffnet sich eine völlig andere Welt. Ich habe sehr lange an den Informationen durch die Interviews festgehalten, weil ich sie für sehr wichtig hielt, ich musste letztlich aber darauf verzichten, um genügend Raum für die Protagonist:innen offen zu lassen.

Einige wenige Menschen ohne Down-Syndrom sind dennoch Teil des Films – zwei Mütter und eine Schwester. Warum sind sie Teil des Films geworden?

EVELYNE FAYE: Sie sind im Film geblieben, weil die Protagonist:innen an ihrer Seite ihren Platz behalten haben. Und es war wichtig, sie auch als Teil von Beziehungen zu filmen. Das Thema Heiraten musste über eine außenstehende Person behandelt werden, da es auch um fachliche Fragen geht, die über einen Arzt eingebracht werden. Es war immer ein schwieriges Abwägen, wie ich zu gewissen Fakten komme, die ich nicht von den Protagonist:innen bekommen kann, ohne dass es sie in den Schatten stellt.

In einer Sequenz filmen Sie alle Protagonist:innen als wäre die Kamera ein Spiegel und fragen sie auch, was sie an sich selbst schön finden und gelangen dabei zu einer sehr positiven Selbstwahrnehmung. Wie sehr hat sie die Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung beschäftigt?

EVELYNE FAYE: Fremdwahrnehmung und Eigenwahrnehmung sind ganz zentrale Themen dieses Films. Die Arbeit mit den Spiegelbildern war ein sehr schönes Erlebnis. Das Setting war so, dass ich die Kamera hinter einen Spionspiegel gestellt habe, sodass sie sich tatsächlich in den Spiegel schauen konnten, ohne die Kamera zu sehen. Meine Absicht war die, dass die Protagonist:innen uns Zuschauer:innen zeigen, wie sie sich selbst sehen, damit wir den Schalter umlegen und aufhören, sie so zu sehen wie wir’s gewöhnt sind. Der Spiegel war zunächst mit schwarzem Stoff bedeckt und sie wurden also vom Spiegel überrascht. Auf die Frage, wie findest du dich, habe ich schönste Überraschungen erlebt: Es kamen Antworten wie –„Ich finde mich cool.“, „Ich finde mich schön“. Ich fand das unfassbar stark. Wer von uns schaut sich in den Spiegel und sagt: „Ich sehe schön aus“. Das hatte zwei Effekte: Sie zeigen uns genau, wie sie sind. Sie sind schön und wir sollten uns von diesem pseudoidealen Normdiktat verabschieden und dessen Absurdität vorführen. Sie geben uns eine starke Lebenslektion, wir sollten uns auch so sehen. Sie sind es, die Recht haben. Wir sollten sie so sehen, wie sie sich selbst sehen und wir sollten uns so sehen.

War es ein Ziel, über das Medium Film den Blick von außen auf Menschen mit Down-Syndrom umzulenken und zu etwas wie Unvoreingenommenheit im Blick zu gelangen, einen neuen Blick von innen zu finden?

EVELYNE FAYE: Magdalena ist die Protagonistin, die am stärksten ihre gesellschaftliche Wahrnehmung thematisiert und sich auch selbst politisch engagiert. Ihre Aussagen zeigen, mit welcher Bewusstheit sie diese Abgrenzung und Schubladisierung erlebt. Da spielt auch meine Erfahrung als dunkelhäutige Frau herein. Ich kenne das, wie man von außen wahrgenommen und angeschaut wird, als würde man eine Identität aufgeklebt bekommen, die vorgibt, dass man so oder so sein sollte, was man selbst aber nicht ist. Daher finde ich es besonders stark, dass Magdalena eine Erfahrung in Worte fasst, die so viele Menschen kennen – diesen Blick von außen, der so weh tut, weil er nichts damit zu tun hat, wer man wirklich ist. Die Fremdwahrnehmung ist falsch, aber sie ist so dominant, dass man sehr stark sein müsste, um sie zu ignorieren. Solche Automatismen in Frage zu stellen, war eine meiner Intentionen mit diesem Film. Magdalena erzählt auch, dass sie sich von ihren Eltern als Kind betrachtet fühlt, obwohl sie eine Erwachsene ist. Das ist sehr komplex. Ich kenne das von meiner Tochter. Ich nehme auch oft die Zahnbürste für sie in die Hand, weil ich in Eile bin und mir denke, vielleicht macht sie es nicht ganz richtig, obwohl sie es kann. Ich weiß, dass ich ihr immer Gelegenheit geben sollte, solche Dinge selbst zu tun. Lernen auf den anderen zu hören, wenn er oder sie anders funktioniert und es nicht sofort als Defizit zu betrachten, ist eine ständige Herausforderung. Es steht ständig eine Ambivalenz im Raum. Es gibt den Wunsch selbständig zu sein, die strukturellen Einschränkungen, die von der Außenwelt kommen und die Einschränkungen, die durch das Down-Syndrom gegeben sind. Damit muss man jonglieren und schauen, dass man den besten Weg findet und nach Möglichkeit, die Person so sein zu lassen, wie sie ist und versuchen, die Welt mit ihren Augen zu sehen.

Sie verweisen auf Emma Lous starken Blick und die Stärke, die Ihre Protagonist:innen ständig an den Tag legen. Ist es Ihre Conclusio, dass es eine besondere Stärke braucht, um mit dieser Lebenssituation bestehen zu können?

EVELYNE FAYE: Ich glaube, ich würde den Akzent eher auf die Zeit setzen, die es braucht, um sich mit einem Menschen mit Down-Syndrom auseinanderzusetzen, die Zeit nehmen, um die Person zu sehen, wie sie ist und nicht wie man will, dass sie ist. Ich bin davon überzeugt, dass jede/r durch seine eigene Persönlichkeit strahlt, wenn man sie/ihn lässt. Wenn jemand das Gefühl hat, gebraucht und geschätzt zu werden, dann ist er auch selbstbewusst. Selbstbewusstsein ist ein großes Thema. Nur mit Selbstbewusstsein fängt ein selbstbestimmtes Leben erst an. Es geht darum, gesehen und gehört zu werden. Der Film soll ihnen Sichtbarkeit geben, das geschieht im Film auch über den Tanz. Es muss sich nicht jede/r so gut sprachlich ausdrücken können wie Magdalena. Es gibt auch andere Möglichkeiten des Ausdrucks und Arten, seine Persönlichkeit zu zeigen. Die Tanzbilder machen das sehr deutlich.

Die Silhouetten der tanzenden Figuren im Halbdunkel des Schlussbildes scheinen ja bewusst alle Möglichkeiten von Zuschreibung aufzuheben.

EVELYNE FAYE: Ich bin überzeugt, wenn jedes Kind die gleiche Chance am Beginn seines Lebens bekommt, wenn man es empfängt und darauf hört, wohin es will, dann hat man die Basis für eine vielfältigere und dialogfähigere Gesellschaft geschaffen.

Interview: Karin Schiefer, Oktober 2022

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